„Ich habe im Leben alles dafür gegeben, um zu gewinnen. Der Wille zu gewinnen ist für mich eine treibende Kraft. Und weil ich immer für den Sieg schufte, ist die zweite Sache, die mir immer durch den Kopf geht, diese: Also gut, ich habe gewonnen, ok, aber das war´s dann auch schon. Und nächstes Mal wird es noch schwerer."

Familie

Miloš Forman wurde 1932 im böhmischen Städtchen Čáslav als jüngster von drei Brüdern in einer Lehrerfamilie geboren. Mit acht Jahren verlor er seinen Vater, der als Mitglied des Widerstands gegen die Besetzung durch Nazi-Deutschland von der Gestapo verhaftet wurde. Kurz nach dessen Verhaftung wurde auch seine Mutter abgeholt. Ein Ladenbesitzer namens Havranek hatte ihren Namen genannt, als er von der Gestapo verhaftet worden war. Er hatte dem Deutschen Amt nicht gemeldet, dass jemand in die Rollläden seines Geschäfts Anti-Nazi-Flugblätter gesteckt hatte. Beim Verhör zu diesem Vorfall nannte er die Namen von 12 Frauen aus Časlav, unter ihnen auch Frau Forman, die daraufhin verhaftet wurde.

„Es ist nicht sicher, was die Gestapo mit Herrn Havranek machte, bevor er ihnen die Namen der zwölf Frauen nannte. Er kam nie vom Verhör zurück. Wahrscheinlich folterten sie ihn. Schließlich hängte er sich in seiner Zelle in Kolin auf“, erinnert sich Forman. Die Gestapo legte den Fall zu den Akten und die Frauen wurden entlassen. „Die einzige, die nicht aus dem Gefängnis zurückkam, war meine Mutter, obwohl Herr Havranek ihren Namen nur versehentlich genannt hatte. Wir haben natürlich bewusst seinen Laden gemieden“, führt er aus.

Den wahren Grund für die Festnahme von Formans Mutter erfuhr er erst nach dem Krieg. Ihre Entlassung wurde von einem sudetendeutschen Vorarbeiter verhindert, der früher für die Formans beim Bau des Familienhotels Ruth am Máchsee gearbeitet und während des Krieges eine Karriere bei der Gestapo begonnen hatte. Was ihn dazu brachte, ist nicht bekannt. Tatsache ist, dass Frau Forman am 1. März 1943 im Konzentrationslager Auschwitz starb. Der gleiche Gestapobeamte aus Kolin schickte Formans Vater ins Konzentrationslager, obwohl Herr Forman lediglich für die Zeit verurteilt worden war, die er bereits im Gefängnis verbracht hatte. Er starb im Mai 1944 im KZ Buchenwald.

„Meine Eltern waren Patrioten, und womöglich sind sie deswegen gestorben. Etwas von diesem Gerechtigkeitssinn ist wahrscheinlich auf mich übergegangen. Ich fand das heraus, als ich mich später weit von meiner Heimat, von meiner Kultur und meiner Familie befand, als ich abgeschnitten war von der Landschaft meiner Kindheit “, sagt Forman.

Anfang der sechziger Jahre erfuhr Forman, dass sein wirklicher Vater nicht der Lehrer Rudolf Forman war, sondern ein jüdischer Architekt, mit dem seine Mutter eine Affäre hatte, als er in ihrer Familienpension Ruth arbeitete. Diese Information erhielt er von einer Mitinsassin seiner Mutter während ihrer Zeit im Konzentrationslager, der seine Mutter vor ihrem Tod das Versprechen abnahm, nach dem Krieg Miloš zu finden und ihm die Wahrheit zu sagen. „Ich glaube nicht, dass mein Vater es wusste. Wenn ja, hat er es nie gezeigt. Er behandelte mich wie sein eigenes Fleisch und Blut, seinen Sohn. Rudolf Forman war mein wirklicher Vater.“

Dennoch schickte Forman seinem damals in Südamerika lebenden Vater einen Brief. Der alte Mann hatte aber kein Interesse daran, die Geschichte wieder aufleben zu lassen. Heute steht Forman in Kontakt mit dessen Kindern und konnte mit Hilfe von DNA Tests unlängst beweisen, dass dieser Mann tatsächlich sein biologischer Vater war.

Die Kriegsjahre

Den Krieg verbrachte der zur Waise gewordene Forman zum Teil bei den Geschwistern seines Vaters in Nachod – seinem Onkel Boleslav und seiner Tante Anna. Später zog der Junge zum Direktor des örtlichen Gaswerks Hluch, der finanziell besser gestellt war und sich so besser um das Waisenkind kümmern konnte.

„Als ich mit meinem Koffer von einer Familie zur nächsten zog, fand ich heraus, dass es im Leben oft hilft, wenn man hilfsbereit ist und keinen unnötigen Ärger macht“, erinnert sich Forman. Daher bemühte er sich sehr in der Schule und half im Haushalt und Geschäft seiner Gönner. „Ich kam dahinter, dass wütend zu sein und Krawall zu machen ein großer existenzieller Luxus ist, daher wuchs ich eher zu einem Diplomaten heran“, fügt er hinzu. Vielleicht gab ihm dieser erste Umzug seine erste Lektion für seinen zukünftigen Beruf.

Poděbrady

Nach dem Krieg wurde Forman in einem speziellen Internat für Kriegswaisen in Podebrady aufgenommen. „Ich war überrascht, wie viele Schüler in einem Internat für Kriegswaisen Eltern hatten. Es gab einige, die wie ich ihre Eltern im Krieg verloren hatten, aber die Mehrzahl hatte Eltern, die als Minister und Diplomaten, also die Créme de la créme des alten Prags, arbeiteten. Einige waren auch kommunistische Funktionäre in höchster Stellung“, sagt der Regisseur über seine Schulzeit. Die Erklärung war einfach. Eine Jungenschule für Kriegswaisen, die auch Söhne von Politikern aller politischen Parteien einlud, konnte mit mehr Spenden rechnen. Der Direktor konnte sich so außerdem die besten Pädagogen aussuchen. So entstand eine der besten Mittelschulen des Landes, in der sowohl neue Kommunisten und alte Kapitalisten versuchten, ihre Kinder zwischen all die Waisen zu zwängen. Dem jungen Forman wurde so eine hervorragende Erziehung zuteil. Und nicht nur das. In der Schule traf er Freunde fürs Leben – den Filmemacher Ivan Passer und den zukünftigen Präsidenten Tschechiens Václav Havel. Zu seinen Schulkameraden gehörten auch die Mašinbrüder – die Söhne des antifaschistischen Widerstandskämpfers Josef Mašin und spätere Gründer einer antikommunistischen Widerstandsgruppe, die zwischen den Jahren 1951 und 1953 in der kommunistischen Tschechoslowakei aktiv war.
Wegen einer Beschuldigung, in der Forman von einem Professor vorgeworfen wurde, die kommunistische Partei verhöhnt zu haben, musste Forman sein Abschlussjahr am Gymnasium in Prag absolvieren.

Prag – Fünfziger Jahre

Schon als Junge begeisterte sich Forman für das Theater, mit dem er zum ersten Mal durch seinen Bruder Pavel in Berührung gekommen war, der als Maler in der fahrenden Truppe Ostböhmische Operette beschäftigt war. „Hinter den Kulissen der Operette herrschte eine wunderbare Mischung von Gerüchen sinnlicher Frauen und Blumen und billiger Parfüms, Veilchen und verschwitzte Körper, Rosen, gestärkte Spitze unterm Bügeleisen, Mottenkugeln, Alkohol und Kirschkuchen und Kekse, Ballettschuhe und verschwitzte Ballettanzüge und kurze Röcke, die leicht nach Urin rochen, und ich entschied auf der Stelle, dass ich hierhin gehöre und nirgendwohin anders,“ beschreibt er sein erstes Treffen mit der Welt des Showbusiness.

Das einzige, was er scheinbar nicht wusste war, welche Arbeit er im Theater machen wollte. „Mir war von Anfang an klar, dass ich kein Schauspieler sein wollte. Hinter den Kulissen fiel mir auf, dass, im Gegensatz zur Hierarchie auf der Bühne  hinter dem Vorhang das männliche Ensemble wie Fußvolk behandelt wurde. Auf einmal stürmte ein älterer Typ in die Umkleide. Er sah verärgert aus, hatte ein zerknittertes Jackett, eine Glatze, und trotzdem machten ihm all diese wunderbaren Frauen schöne Augen. Der ältere Herr hatte offensichtlich schon etwas getrunken, und trotzdem lächelten sie ihn an, flirteten mit ihm und versuchten ihn zu beeindrucken, sie taten alles, um ihm zu gefallen. Das würde mir auch gefallen, dachte ich mir.
‚Wer ist das?‘, fragte ich meinen Bruder.
‚Der da? Der führt hier Regie‘, antwortete mir Pavel.
‚Und, kann er was? ‘
‚Ja, hauptsächlich saufen.‘
Mein Bruder hatte von Regisseuren scheinbar nicht die beste Meinung, aber ich entdeckte für mich meinen Lebensstil.“

Später in Podebrady trat der junge Forman dem dortigen Amateurtheater Na kovárně bei, und in den fünfziger Jahren gründete er in Prag sogar eine Amateurtruppe mit Mitschülern aus dem Gymnasium, mit denen er erfolgreich das Stück Balada z Hadrů  (1950) aufführte. Trotzdem wurde er nicht an der Prager Theaterschule DAMU aufgenommen, angeblich, weil er bei der Bewerbung den „Kampf für den Weltfrieden“ nicht erfolgreich aufführte.

Um dem Militärdienst zu entgehen, bewarb er sich an der FAMU und wurde zum Studiengang für Drehbuchschreiben zugelassen. „Im Nachhinein merkte ich, dass mir die FAMU gab, was auch meine Lehrer mir gaben – eine Chance, die verwüstenden Winde des Stalinismus der fünfziger Jahre zu überstehen, die ansonsten alles und jeden zerstörten. Zusätzlich hatten wir wunderbare Dozenten, die uns Schriftsteller wie Milan Kundera und Miloš V. Kratochvíl näherbrachten.“

Künstlerische Anfänge

In seinem zweiten Jahr an der FAMU bewarb sich Forman beim neugegründeten Tschechoslowakischen  Fernsehen, das auf der Suche nach einem Moderatoren für eine Sendung war, die sich mit Film auseinandersetzte. „Ich dachte, es sei ein guter Beginn für eine Karriere als Sportreporter, was für mich der beste Job der Welt war, denn sie gingen auf alle Fußball- und Hockeyspiele, verdienten viel Geld und durften in den Westen reisen.“

Er bekam die Stelle und begann nun regelmäßig, den geringen Anteil der tschechoslowakischen Bevölkerung, der ein Fernsehgerät besaß, mit Neuigkeiten über sozialistisches und westliches Kino zu versorgen. Schließlich bekam er sogar die Gelegenheit, seinen Traumjob als Sportmoderator auszuprobieren, und zwar während eines Hockeyspiels im Prager Westen im Štvanice-Stadium, wo er einen fünfminütigen Probekommentar aufnahm. „Ich gab alles, aber der Sportredakteur meldete sich nie mehr bei mir.“

Während seines Studiums spielte er auch kleine Rollen in tschechischen Filmen und arbeitete an einer Reihe von Drehbüchern mit. In der Regie versuchte er sich erstmals während der Dreharbeiten zu dem Film Dědeček automobil (1956). Der Regisseur des Films, Alfréd Radok, erlaubte ihm, selbstständig eine Massenszene zu drehen. Im folgenden Jahr wirkte er mit als Storyautor, Co-Drehbuchautor und Regieassistent für den Film Štěnata (1957) des Regisseurs Ivo Novak. Hier traf er seine erste Frau, die wohl  berühmteste tschechische Schauspielerin der folgenden Jahrzehnte, Jana Brejchova. Nach dem Ende der Dreharbeiten heirateten sie schnell, auch um eine bessere Möglichkeit auf eine gute Wohnung zu bekommen.

Kurz darauf wurde Miloš Forman vom Regisseur Radok angesprochen, ihn als Drehbuchautor bei der  multimedialen Vorstellung Laterna Magika (1958) zu begleiten, die für die Weltausstellung EXPO 58 in Brüssel vorbereitet wurde. Die Inszenierung fand weltweite Anerkennung, und so wurde Forman nach seiner Rückkehr nochmals von Radok gebeten, bei einer neuen Inszenierung mitzuwirken, Laterna Magika II.: Zájezdový program (1961). Während der Vorbereitungen trennte er sich von Jana Brejchova.

Sechziger Jahre

Anfang der sechziger Jahre erwarb Forman seine eigene Kamera, ein ostdeutsches Modell, mit der er zusammen mit Ivan Passer und dem Kameramann Miroslav Ondříček eine Dokumentation über das damals sehr populäre Semafortheater drehte. Hier entstand auch die Idee für den Film Wettbewerb (1963). Forman organisierte zusammen mit den künstlerischen Leitern des Semafortheaters – die Theaterleute Jiří Suchý und Jiří Šlitr – ein fiktives Casting für Mädchen, die von einer Gesangskarriere träumten. Die Filmcrew drehte diese Veranstaltung. Die Rolle einer jungen Sängerin besetzte Forman mit seiner zukünftigen zweiten Ehefrau Jana Křesadlova, die er auf einem Rock´n´Roll-Konzert in Prag getroffen hatte, wo sie mit ihrer Band aufgetreten war. 1964 heirateten die beiden.  

„Als wir heirateten, wurde Věras flacher Bauch immer größer und größer. Der Doktor sagte, dass Věra entweder ein Monster gebären wird oder mit Zwillingen schwanger ist. Klarheit konnte nur ein Röntgenbild schaffen, da es damals noch kein Ultraschallgerät gab, aber Věra lehnte das ab“, erinnert sich Forman. In der damaligen Tschechoslowakei war es üblich, dass der zukünftige Vater mit Freunden trinken geht, während er auf Nachrichten aus dem Krankenhaus wartet. „Die Grande Dame des tschechischen Theaters, Stella Zázvorková, veranstaltete mir zu Ehren eine Party. Ich saß auf meinem Stuhl und stieß auf das Kind mit Freunden an, als plötzlich die Nachricht aus dem Krankenhaus kam. Věra hatte Zwillinge, Petr und Matěj, und allen ging es gut“, erzählt er. „Eine andere tschechische Tradition ist es, dass der Vater einen Teller mit heißer Linsensuppe essen muss, in der ein rohes Ei beigemengt ist. Die Linsen symbolisieren Geld, und der Vater muss daher den Teller vollständig leer essen, damit es seiner Familie nie an etwas fehlen wird. Stella stellte mir einen Teller hin und alle begannen mich anzufeuern und Witze zu reißen. Stella nahm dann ein Ei und brach es am Tellerrand auf. Der ganze Raum füllte sich mit Schweigen – das Ei hatte zwei Eigelbe.“

Im gleichen Jahr begann Forman mit den Dreharbeiten zu seinem ersten Spielfilm, gefilmt nach einer Geschichte von Jaroslav Papoušek, Der schwarze Peter (1963). Der Film gewann einen Preis beim internationalen Filmfestival von Locarno und sicherte Forman seine erste Reise ins Land seiner Träume, Amerika. Das Tor zur Welt öffnete ihm dann endgültig sein nächster Film, Die Liebe einer Blondine (1965), der ihm seine erste Oscar-Nominierung für den besten fremdsprachigen Film einbrachte.

Dank dieser Nominierung wurde er ein bekannter Regisseur des europäischen Kinos und erregte die Aufmerksamkeit des berühmten italienischen Produzenten Carlo Ponti. Dieser lud Forman, Jaroslav Papoušek und Ivan Passer nach Italien ein, wo sie eine Komödie über die letzte Bärenjagd in der hohen Tatra in der Slowakei schreiben sollten. Der Produzent hatte allerdings andere Vorstellungen als die drei jungen Filmemacher, und so wurde das Projekt schließlich eingestellt. Das Trio ließ sich von diesem Fehlschlag nicht entmutigen und kehrte in die Heimat zurück, wo sie an anderen Projekten arbeiteten. Das Erlebnis eines Tanzballs der freiwilligen Feuerwehr in dem kleinen Städtchen Vrchlabi im Riesengebirge führte schließlich zu der bitteren Komödie Der Feuerwehrball (1967). Der Film hatte einen langen Weg in die Kinos, kam schließlich aber in die Vereinigten Staaten, wo Forman eine weitere Oscar-Nominierung erhielt.

New York

1967 erhielt Forman die Erlaubnis, für Dreharbeiten mit Paramount Pictures in die USA zu reisen, um dort seinen ersten amerikanischen Film zu drehen. Er hatte viele Pläne, unter anderem eine Adaption von Franz Kafkas Roman Amerika, an der er noch zusammen mit dem Dramatiker Vaclav Havel in seiner Heimat zu arbeiten begann. Die Idee wurde von den kommunistischen Behörden abgelehnt.

Während seines Aufenthalts in New York faszinierte Forman die dortige Hippiekultur. Nachdem er die Vorpremiere des Musicals Hair gesehen hatte, beschloss er, zusammen mit seinem Freund, dem französischen Drehbuchautoren Jean-Claude Carrière, an einer Filmversion zu arbeiten. Da sie nicht die Rechte erwerben konnten, ließen von dem Projekt ab und begannen mit dem Drehbuch zu dem Film Taking Off (1971).

Im Frühling des Jahres 1968 wurden New York und die ganzen Vereinigten Staaten in Rassenunruhen und Proteste gegen den Vietnamkrieg gestürzt. Beide Filmemacher gingen nach Paris in der Hoffnung, dass sie hier die nötige Ruhe zum Schreiben finden würden. Doch in Paris brachen kurz darauf die Studentenunruhen aus. Diese Unruhen breiteten sich bis nach Prag aus, die ihren Höhepunkt im sogenannten Prager Frühling fanden. Im Angesicht dieser Geschehnisse hatten beide keine einzige Zeile geschrieben. Sie kehrten Anfang August nach Paris zurück, wo sie die Nachrichten vom Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei hörten. Formans französische Freunde schafften es noch, seine Frau Věra Křesadlova und seine Kinder mit dem Auto nach Paris zu bringen. Nach einigen Monaten in der Stadt an der Seine entschloss sie sich aber, wieder nach Prag zurückzukehren und ein Engagement am Semafortheater anzunehmen. Im Gegensatz dazu entschloss sich der tschechische Regisseur – der zu dem Zeitpunkt noch einen tschechoslowakischen Pass und ein Visum hatte –, Zuflucht in Amerika zu suchen.

Greenwich Village

Zusammen mit Ivan Passer, der sich ebenfalls entschlossen hatte, sofort zu emigrieren, mieteten sie ein kleines Haus in der Leroy Street in Greenwich Village in New York. Forman blickt gern auf diese Zeit zurück: „Wir verwehrten niemandem Eintritt in unser Haus, daher war bei uns immer viel los. Einige blieben, einige gingen, andere verschwanden für eine Weile und fanden bald wieder zu uns zurück. Der Dramatiker John Guare, Autor des Stücks Das Haus der blauen Blätter, sagte uns, wann immer er zu uns kam, hätte er den Eindruck gehabt, Amerika verlassen und das Land der Boheme betreten zu haben, was natürlich hauptsächlich davon abhängt, was man trinkt und liest.“ Hier stellte Forman mit der Hilfe des jungen amerikanischen Filmemachers John Klein das Drehbuch zu Formans Taking Off (1971) fertig. Während der Dreharbeiten traf er zum ersten Mal Michael Hausman, der fast alle seiner späteren Filme produzieren sollte. „Es war sofort klar, dass dies ein hervorragender Kerl war. Zur Arbeit fuhr er auf einem Motorrad. Er machte Undergroundfilme und konnte mit jedem Budget umgehen. Er würde als Taschendieb arbeiten, nur um einen Film zu finanzieren. Ursprünglich kam er aus einer der reichsten Familien in New York", erinnert er sich. Der Film Taking Off fand beim Publikum allerdings wenig Anerkennung. „Mein Instinkt als Filmemacher war zu tschechisch, und mit amerikanischen Filmen hatte ich noch keine Erfahrung. Es machte keinen Sinn, einen Film über die Wirklichkeit um mich herum zu machen, die ich nicht gut kannte und die nicht meine war. So drehte ich also meinen letzten tschechischen Film in New York. Danach waren alle meine Filme amerikanisch.“

Hotel Chelsea

Nach dem kommerziellen Misserfolg von Taking Off begann Forman wieder von Anfang an. Er zog ins Hotel Chelsea und lebte angeblich manchmal nur von einem Dollar pro Tag, von Chilli aus der Dose und einer Flasche Bier. An eine Rückkehr in die Tschechoslowakei dachte er nicht, und als schließlich sein Vertrag mit Universal auslief und er die Möglichkeit bekam, weiter in den USA als tschechischer Bürger zu bleiben, wurde er zum Emigranten. „Ich wartete auf das Angebot, das mein Leben ändern sollte, und in der Zwischenzeit akzeptierte ich alles, was ich kriegen konnte, bis hin zum Gratis-Mittagessen“, blickt er zurück.

Zu dieser Zeit nahm er an einer Gruppendokumentation über die Olympiade München 1972 - 8 berühmte Regisseure sehen die Spiele der XX. Olympiade (Visions of Eight) (1972) teil.Während der Spiele wurde er Zeugedes tragischen Attentats der Palästinenser auf die israelischen Sportler.

Mit der Inszenierung der Komödie The Little Black Book, nach einem Stück seines Freundes Jean-Claude Carrière, am Broadway erfüllte er sich einen weiteren Traum.

Er versuchte sich sogar in der Werbebranche, wo er einen Spot für Royal Crown Cola drehte, dessen Konzept aus der Eröffnungssequenz seines Films Taking Off stammte. „Ich stellte fest, dass Amerika genauso kafkaeske Züge hatte wie die kommunistische Bürokratie. Ein abendfüllender Spielfilm, an dem ich zwei Jahre gearbeitet hatte, kostete 810 000 Dollar, während ein einminütiges Plagiat insgesamt eine Million verschlang“, erinnert er sich.

Er ging zu dieser Zeit eine Partnerschaft mit dem Agenten Robert (Robby) Lantz ein, der auch Stars wie Tennessee Williams, Elizabeth Taylor, Richard Burton oder Leonard Bernstein vertrat. Er hatte Forman schon vorher während dessen ersten Aufenthalts in New York getroffen. „Ich muss zugeben, dass ich anfangs dachte, dass ich träume. Robby vertrat Leute, deren Vornamen in ganz Amerika berühmt waren, wie Liz, Richard, Lenny, und trotzdem behandelte er mich, als ob ich die wichtigste Person der Welt sei. Nach einiger Zeit merkte ich, dass das kein Trick war, sondern einfach nur die Art, wie Robby mit Leuten umging. Er hat mich zum Beispiel nie etwas unterschreiben lassen. Wir gaben uns einmal einen Handschlag, und nach all den Jahren und Filmen ist dieser Vertrag noch immer gültig.“

Die ersten Oscars

1974 bekam Forman eine zweite Chance, einen amerikanischen Film zu drehen, als ihm der junge Schauspieler Michael Douglas und der unabhängige Produzent Saul Zaentz anboten, bei der Filmadaption von Ken Keseys Roman  Einer flog übers Kuckucksnest Regie zu führen. Wie Forman später bestätigen sollte, hatte die schicksalshafte Idee zur Zusammenarbeit bereits Michaels Vater Kirk Douglas. Dieser hatte Forman bereits in den sechziger Jahren das Buch geschickt, welches aber wahrscheinlich von der Staatspolizei konfisziert worden war, sodass er es nie bekam.  Der Film Einer flog über das Kuckucksnest  (1975) wurde zum Kassenschlager und erhielt Oscars in allen Hauptkategorien.

Auf einmal war Forman ein erfolgreicher amerikanischer Regisseur. Die Angebote flogen ihm zu, aber er wollte sich endlich seinen ersten amerikanischen Traum erfüllen – die Verfilmung des Musicals Hair (1979). Er kaufte sich direkt neben dem Central Park ein Appartment, er hätte den Film Hair also direkt von seinem Fenster aus inszenieren können. Obwohl der Film bei weitem nicht so erfolgreich war wie Einer flog übers Kuckucksnest, war er alles andere als ein Misserfolg und stärkte Formans Stellung als renommierter Regisseur.

Die achtziger Jahre

Forman begann ein weiteres Projekt, diesmal mit dem italienischen Produzenten Dino de Laurentiis, der ihm anbot, E. L. Doctorows Bestseller Ragtime (1981) zu verfilmen. Bei den Dreharbeiten wurde Forman mit seinem langjährigen Kameramann Miroslav Ondříček wiedervereint, dem die tschechischen Behörden endlich erlaubt hatten, in den Westen zu reisen. Gemeinsam arbeiteten sie an Formans nächstem Film Amadeus (1982). Dessen Dreh ermöglichte es Forman, wenn auch nur für kurze Zeit, in seine alte Heimat zurückzukehren. Obwohl er schon seit langem amerikanischer Staatsbürger war, bekam er von den tschechoslowakischen Behörden keine Aufenthaltserlaubnis. Er rief den damaligen Direktor der tschechoslowakischen Filmindustrie, Jiří Purš, an, der damals die tschechische Filmindustrie „beherrschte“. Er sagte ihm, dass die Amerikaner planten, sehr viel Geld in Prag zu investieren, und schon nach kurzer Zeit erhielt er sein Visum. Die Dreharbeiten fanden natürlich unter den Augen der Geheimpolizei statt. Der Film wurde in 11 Kategorien für den Oscar nominiert, von denen er schließlich acht goldene Statuen gewann.

Nach  Amadeus versuchte sich Forman wiederum an einem historischen Stoff, die Adaption des berühmten Romans Gefährliche Liebschaften von Choderlos de Laclos aus dem 18. Jahrhundert. Aufgrund eines Missverständnisses mit dem Autor der Theaterfassung, Christopher Hampton, verkaufte Hampton schließlich die Rechte an seiner Adaption an den jungen britischen Regisseur Stephen Frears. So wurden zur gleichen Zeit zwei Versionen des gleichen Stoffs produziert. Formans Valmont (1989) nach Motiven des ursprünglichen Romans, und Gefährliche Liebschaften  (1988)nach Hamptons Theaterfassung. Leider musste Valmont für seinen späteren Auftritt in den Kinos bezahlen, der große Erfolg blieb aus. Eigentlich hätte ich mich monatelang im Bett verkriechen sollen. Aber am Tag der Premiere begann in der Tschechoslowakei die Samtene Revolution, und sie wurde angeführt von meinem alten Schulfreund aus Podebrady “, erinnert sich Forman.

Besuch des Präsidenten

Forman traf sich mit Václav Havel während dessen erster Reise in die Vereinigten Staaten im Februar 1990, als der neugewählte Präsident der demokratischen Tschechoslowakei seine legendäre Rede vor dem Kongress hielt. In Begleitung amerikanischer Wachleute ging er auf einen Erkundungsgang durch die Stadt. Václav Havel wollte sich den Washington Square ansehen, wo sich Jugendliche und Bohemians trafen, ein Wachmann riet ihm jedoch dringend davon ab, da es dort immer wieder zu Schießereien käme. Die Wachleute wussten, dass dort mit Marihuana gehandelt wurde, und schlossen daraus, dass dort, wo Drogen sind, Waffen nicht fern sein können und ein Präsident sich dort nicht aufhalten solle. „Was für einer Schießerei? Ich komme direkt von Bush, und mit keinem Wort hat man mir gesagt, dass Sie im Krieg sind. Wann hat das begonnen?“, wandte sich Havel zum Spaß an Miloš Forman vor seinem ahnungslosen Sicherheitschef. „Das weiß ich nicht, ich habe heute noch nicht die Nachrichten gesehen“, sagte Forman. „Könnte die Tschechoslowakei Amerika irgendwie zur Hilfe kommen?", fragte der Präsident amüsiert. Schließlich bestätigte er, dass sich die Tschechoslowakei nicht in die amerikanische Außenpolitik einmischen werde, was er sofort demonstrierte, indem er einmal um den Block ging.

„Er war immer noch derselbe wie früher, manchmal etwas kindisch. Aber dafür unglaublich clever, unglaublich intelligent und mit einem guten Überblick über den Stand der öffentlichen Angelegenheiten. Aber ansonsten war er wirklich immer noch der Gleiche“, erinnert sich Forman an seinen kürzlich verstorbenen Freund. „Wir trafen uns jedes Mal wenn er in Amerika oder ich in Prag war. Aber wir sprachen meistens über Freunde aus Podebrady, über Politik so gut wie nie. Oder zumindest nur manchmal.“

Dritte Ehe

Ende der neunziger Jahre lernte Forman seine dritte Ehefrau Martina kennen, eine um viele Jahre jüngere Studentin der Prager FAMU, die ihm geschrieben hatte, ob er ihr mit ihrer Magisterarbeit helfen könne, die den tschechischen mit dem amerikanischen Film verglich. „Der höfliche Brief erinnerte mich daran, wie ich als ambitionierter junger naiver Mann ein Drehbuch an Charlie Chaplin in die Schweiz schickte. Ich hoffte wirklich, dass Chaplin Interesse an dem Angebot eines Regisseurs hätte, der noch nichts gedreht hatte und aus der stalinistischen Tschechoslowakei kam. Und so traf ich mich mit Martina in der FAMU. Ich hatte erwartet, dass ein nachdenkliches bebrilltes Fräulein im ausgeleierten Sweater kommen würde. Aber stattdessen kam eine elegante Blondine. Sie war groß und schlank und ich erinnerte mich, dass ich sie schon einmal gesehen hatte. Das war Jahre zuvor, aber obwohl wir miteinander kein Wort gewechselt hatten, erinnerte ich mich, dass sie mir ins Auge gefallen war“, erzählt der Regisseur. Im Jahr 1998 brachte sie Zwillinge zur Welt, Andrew und James, und ein Jahr später heirateten sie.

Neunziger Jahre und Gegenwart

Ein weiterer Film von Miloš Forman war Larry Flynt – Die nackte Wahrheit (1996), der schon bald den Ruf eines Skandalfilms hatte. Der Regisseur baute seine Geschichte über Meinungsfreiheit auf dem Leben des Pornomagnaten Larry Flynt auf – eines Mannes, der wegen seiner Arbeit und seinen Ansichten bei einem Attentat angeschossen und später vor Gericht gezerrt wurde. Die Rezeption des Films wurde, trotz positiver Kritiken, durch Hetzkampagnen amerikanischer Feministinnen beeinträchtigt, die behaupteten, der Film verherrliche einen Pornomagnaten, und die sich daher persönlich angegriffen fühlten.

Nach dem Produktionsstop seines nächsten geplanten Films Embers (2005), in dem Sean Connery die Hauptrolle spielen sollte, wandten sich Forman und Carriere einem anderen Projekt zu. Goyas Geister (2006), ein historisches Drama über die Inquisition und den Maler Francisco de Goya ist sein bisher letzter Film, da der Dreh seines nächsten Films The Ghosts of Munich 2009 wegen Produktionsproblemenabgesagt wurde.

Im Jahr 2007 brachte seine Arbeit Forman nach Prag zurück. Gemeinsam mit seinen erstgeborenen Söhnen Petr und Matej inszenierte er am Nationaltheater die Jazz-Oper Ein gut bezahlter Spaziergang (2007). Für die  Zusammenarbeit mit seinen Söhnen fand er lobende Worte: „Wir stritten, aber immer nur über die Details. Jemand muss halt immer das letzte Wort haben, und in diesem Fall gewann natürlich der Respekt. Aber Respekt auf beiden Seiten, das muss ich betonen. Sie hatten natürlich ein bisschen Angst vor dem Vater, weil sie ihn früher mit dem Rohrstock gesehen hatten, aber auch ich habe sie sehr respektiert - im Theater haben sie die Erfahrung, und dazu noch eine unglaubliche Fantasie. Und hauptsächlich war es von Vorteil, wenn wir drei uns stritten. Zwei haben immer den dritten überstimmt, es gab also nie eine unentschiedene Situation."

Der Erfolg seiner älteren Zwillinge, die im europäischen Theater sehr anerkannt sind, macht ihn stolz: „Zu ihren Vorführungen gehe ich, wann immer ich kann. Ich habe alle gesehen. Sie sind schlau, meine Jungs, und ich bin stolz auf sie."

 

Die gemeinsame Arbeit von Vater und den Söhnen Forman hielt Miloš in der Aufzeichnung der Aufführung von Ein gut bezahlter Spaziergang (2009) fest. Vor der Premiere auf dem internationalen Filmfestival in Karlovy Vary verkündete der nun schon fast achtzigjährige Regisseur: „Fragen Sie mich, was Sie wollen, machen Sie Fotos von mir, wann Sie wollen, es ist mir völlig egal. Nur zerren Sie mich bitte nicht nach draußen, für Spaziergänge bin ich ein bisschen zu alt“ und zündete sich seine obligatorische Zigarre an. Er lässt nichts Neues von sich hören: „Keine Filme mehr, ich habe Urlaub.“
Es ist klar, dass es „nächstes Mal noch schwerer wird“. Aber wer weiß?