Die Liebe einer Blondine

Tragikkomödie

Premiere:
26. August 1965, Filmfestival in Venedig, Italien

Laufzeit:
85 Minuten.

Sprache:
Tschechisch

© 1965 Film Studio Barrandov

“Umwerfende Kameraarbeit, eine unglaublich bewegende Darstellung der schönen Hana Brejchová, und wundervoll natürlicher Dialog verbinden sich zu dieser Studie über junge Liebe in der kommunistischen Tschechoslowakei, womöglich der schönste Film des Kinos, und mit Sicherheit der schönste Film Formans.”

(Iain Stott, 1linereview.blogspot.com, 2008)

Der scheinbar banale Plot des Films erzählt eine Episode aus dem Leben der jungen und naiven Auszubildenden aus einem Mädcheninternat, die bei einem Kleinstadtball vom Pianisten Milda verführt wird. Nach einer gemeinsamen Nacht fährt das Mädchen mit seinem Koffer nach Prag um den Jungen wiederzusehen. Zu spät erkennt sie, dass sie dort niemand erwartet.

Die bittersüße Geschichte der einfachen Andula zeigt scharf und deutlich die tragikkomischen Absurditäten des Sozialismus in den sechziger Jahren  und die Lebensumstände der Jugend in der kommunistischen Tschechoslowakei auf. Gleichzeitig bietet der Film eine behutsame Einsicht in die zerbrechlichen Seelen der postpubertären Jugend und in die hilflosen Reaktionen ihrer Eltern, die weltweit identisch sind.

Über den Film

In diesem Film ging Milos Forman vom spontanen Ausdruck seines Films Der schwarze Peter zu einer von Handlung angetriebenen Geschichte über, die sowohl in einer Kleinstadt als auch in Prag spielt. Sie ist bitter und süß zugleich; tragisch und berührend zugleich. Man will gleichzeitig lachen und weinen, denn es geht hier nicht nur um die Enttäuschung der Liebe eines gutgläubigen Mädchens. Vielmehr liefern die Autoren auch ein ätzendes Portrait der gesamten Gesellschaft.  

Der Film macht sich über die Sozialpolitik des sozialistischen Regimes lustig, das den Mangel an jungen Männern in der Kleinstadt Zruc nad Sazavou mit der Stationierung von Wehrpflichtigen beheben will. Durch einen Fehler werden allerdings Reservisten, zum größten Teil verheiratete Männer mittleren Alters, nach Zruc geschickt. Bei einem Ball, organisiert, um das Treffen der Soldaten mit den Auszubildenden zu erleichtern, versuchen die Reservisten ungeschickt,  die Mädchen zu umwerben, in der Hoffnung,  ihre eigenen Frauen zu betrügen. Die Szene auf dem Ball, auf dem Volkslieder gespielt werden, ist eines der besten Beispiele für die sogenannte Poesie der Peinlichkeit der sechziger Jahre. Die  gutgläubige Andula widersteht zunächst allen sexuellen Annäherungen, doch zuletzt verführt sie der junge Pianist Milda vom Prager Orchester. Eines der tragikkomischen Highlights des Films ist ihre Liebesszene, in der Milda wiederholt versucht, das Fensterrollo herunterzuziehen.

Das naive Mädchen kommt schließlich in der Illusion der großen Liebe nach Prag, wohin sie Milda nur aus Höflichkeit  eingeladen hat. Die Story hat ihren Höhepunkt in der absurden Schlafzimmerszene im Appartment von Milos´ Eltern. Vater, Mutter und Sohn liegen gemeinsam im Doppelbett und streiten darüber, was sie mit dem Mädchen machen sollen, das auf der Couch schläft. „Es ist sehr eng! Der alte Mann will schlafen, der Sohn würde am liebsten raugeworfen werden, damit er zum Mädchen auf die Couch kann, doch die dominante Mutter toleriert solche schmutzigen Ideen nicht unter ihrem Dach“, sagt Forman selbst. Diese Szene ist eine der sensibelsten und zugleich eine der bittersten über die tschechische Engstirnigkeit im Allgemeinen.

Wie schon in seinen vorherigen Filmen vertraut Forman auf Massenszenen, in denen er die Kamera in die Position eines zufälligen Zuschauers versetzt und so dokumentarisch mehr die vorherrschende Atmosphäre als die Story selbst einfängt.  Mehr als zwei Millionen Zuschauer sahen Formans meistbesuchten Film in der Tschechoslowakei. Die Liebe einer Blondine fand aber auch ein großes Echo unter den ausländischen Intellektuellen.  Auf der Liste „Die 100 besten Filme des Weltkinos” vom Empire Magazine landete der Film auf Platz 89.

Wissenswertes

  • Der Film wurde fast nicht gedreht, da der Hauptstory-Editor von den Barrandov Studios fand, das Drehbuch sei das Langweiligste, was er je gelesen habe: es sei naiv und falsch. Glücklicherweise konnten einige Leiter einer kreativen Gruppe des Barrandov Studios, Jiri Sebor und Vladimir Bor, das Projekt schließlich durchsetzen. Eines der Argumente für den Dreh des Films war die Tatsache, dass das Budget so gering war.  
  • In den USA wurde der Film mit einer zusätzlichen Szene aufgeführt. Während Andula auf Milda im Haus seiner Eltern wartet, begleitet er ein anderes Mädchen nach Hause. Sie verspricht ihm, ihn durch das Fenster in die Wohnung ihrer Eltern zu lassen. Dies ist jedoch ein Trick, um ihn wieder loszuwerden, da sie im vierten Stock lebt. Milda versucht, durch das falsche Fenster in die Wohnung zu kommen, in der die ahnungslosen Nachbarn schlafen.
  • Die Autoren trafen Josef Sebanek, der  Mildas Vater spielt, als sie nach einem geeigneten Appartment für die Szenen mit Mildas Eltern suchten. Der Kameramann Miroslav Ondricek nahm sie mit ins Prager Viertel Karlin, wo der Onkel und die Tante seiner Frau lebten. Als sie am Abend gutgelaunt Sebaneks Wohnung verließen, bestand kein Zweifel daran, wer den Vater spielen würde. Milada Jezkova, eine Gymnasiastin, die Jaroslav Papousek und Ivan Passer in der Straßenbahn fanden, wo sie lautstark ihre Meinung über etwas verbreitet hatte, spielte im Film seine Frau. So fand man also nicht nur die talentiertesten Laiendarsteller für den eigenen Film, sondern sogar für die gesamte tschechische Filmindustrie.
  • Forman kombinierte professionelle Schauspieler mit Laiendarstellern. Er besetzte den berühmten tschechischen Schauspieler Vladimir Mensik in der Rolle eines Reservisten. Er musste schauspielerisch zwei Laien, Ivan Kheil und Jiri Hruby, in der Szene auf dem Ball leiten. Mensiks Talent zahlte sich aus, denn er schaffte es, beide Schauspieler zu führen, Zeit zu sparen und selbst nicht mit seiner eigenen Rolle hervorzutun.
  • Teile des Films wurden in Zruc nad Sazavou gedreht, wo sich eine große Schuhfabrik und ein Mädcheninternat befanden. Die Behörden der Stadt bekamen zu spüren, dass der Ruf der Stadt durch den Verleih des Films beschädigt worden war, da angeblich Gruppen von jungen Männern begannen, die Stadt zu aufzusuchen.
  • Der Film wurde für den Oscar nominiert und wurde für ein paar Monate in einem Programmkino in New York aufgeführt. Eines Tages stand Jaqueline Kennedy unter den Wartenden an der Kasse, in Begleitung zweier auffällig „unauffälliger“ FBI Agenten. Angeblich hat sie sich sehr amüsiert.
  • Da der Film in schwarzweiß gedreht wurde, ließ Kameramann Miroslav Ondricek die Innenräume ebenfalls schwarzweiß streichen, um das Ganze „ein wenig peppiger” zu machen, wie er selbst sagte. Daher musste alles grau, schwarz und weiß aussehen.
  • Laut Kameramann Miroslav Ondricek wurden alle Erwachsenenrollen von Milos Forman selbst gespielt, da er den Darstellern ihren jeweiligen Part komplett vorspielte.
  • Der Film wurde vom großen tschechischen Schnittmeister Miroslav Hajek geschnitten, der diese Aufgabe in allen von Milos Formans tschechischen Filmen übernahm. Später lud ihn Forman nach London ein, um sich von ihm beim Schnitt seines Filmes Ragtime helfen zu lassen.

Milos Forman über den Film

  • „Zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht zum zweiten Mal verheiratet, also ging ich oft ziellos von einem Freund zum nächsten spazieren, von einer Kneipe zur nächsten. Einmal fuhr ich nach Mitternacht von der Vsehrdova Straße mit dem Auto nach Hause und sah plötzlich dieses Mädchen mit dem Koffer, das die Brücke überquerte. Ich hielt an und bot  an, ihr zu helfen. Ich erfuhr, dass sie gekommen war, um einen Jungen zu sehen, den sie vor ein paar Tagen in Varnsdorf getroffen hatte. Allerdings stellte sich heraus, dass die Adresse, die er ihr gegeben hatte, nicht stimmte. Sie erzählte mir von der Situation in Varnsdorf, die identisch war mit der im Film. Große Textilfabriken, entvölkerte Gegenden nach der Umsiedlung der Deutschen, mehr Mädchen als Jungen. Zruc war das Gleiche; nur die Fabrik war neu in dieser tschechischen Region.“
  • „Ich besetzte Janas Schwester nicht, um Rache an meiner ersten Frau zu nehmen, (tschechischer Filmstar der sechziger Jahre, Jana Brejchova, Anmerkung des Redakteurs), wie einige flüsternd verbreiten, sondern hauptsächlich, weil ich sie gut und sehr lange kannte und wusste, dass sie sehr talentiert war. Jana befand sich immer in einer mehr intellektuellen Sphäre, während Hanna mehr gewöhnlich und unkompliziert war, da sie nicht auffallend  hübsch war. Sie hatte die unglaubliche Fähigkeit des freien Ausdrucks, mit der Gefahr, dass sie nicht immer wusste, wie weit sie damit ging. Vlada Pucholt hielt sie aber fest im Rhythmus der Szene, in einer professionellen Position.”
  • „Ich hatte niemals jemand anderen als Vladimir Pucholt für unseren Klavierspieler in Betracht gezogen. Dieser großartige Schauspieler, der eine enorme künstlerische Intuition hat,  hatte komplett seinem eigenen Talent misstraut. Ich glaube, das liegt daran, dass er immer eine realistischere Einstellung hatte und niemals sehen, geschweige denn einschätzen  konnte, wie das Resultat seiner Arbeit aussah.”

    „War das gut, Herr Forman?” fragte er mich nach jeder perfekten Einstellung.
    „Es war exzellent!”
    „Wirklich?”
    „Wirklich.”
    „Er hat es mir nie geglaubt und alle liebten ihn dafür.”

  • „Beim Dreh zu Die Liebe einer Blondine lernte ich, dass das Vermischen von Schauspielern und Laien beiden Gruppen half, aber man brauchte Darsteller, die sich dieser Herausforderung der Natürlichkeit der Laiendarsteller stellen konnten. Man muss ein großer Schauspieler sein, um sich in eine Szene mit Leuten zu mischen, die einfach sie selbst sind. Vladimir Mensik war so ein Schauspieler.”
  • “Ich habe diese paar Monate in Zruc als die sonnigsten Tage im Filmgeschäft in Erinnerung. Wir hatten alle Zeit der Welt. Wir spielten Billiard. Wir lachten uns halb tot, wenn wir Pucholt dabei zusahen, wie er mit seinen Eltern im engen Doppelbett kämpft.”
  • Die Liebe einer Blondine  sorgte für ausverkaufte Kinos in der Tschechoslowakei und brachte mir den Klement-Gottwald-Preis. Der Preis des ersten kommunistischen Präsidenten des Landes, der ein berüchtigter Trinker war, war in erster Linie eher eine Peinlichkeit als etwas anderes. Die einzige positive Sache daran war der fette Umschlag, der mit  Schleife kam. Er enthielt 20 000 Kronen (800 EURO), fast ein ganzes Jahresgehalt, und es half Ivan (Milos Formans enger Mitarbeiter, Autor und Regisseur, Anmerkung des Redakteurs), die Verachtung, die er für all die vorherigen Preisträger hatte, zu mindern. ”

Drehorte

Tschechoslowakei (heutige Tschechische Republik)

  • Zruc nad Sazavou

  • Bahnhof
    • Einige Reservisten kommen in die Stadt.
  • Gemeinschaftszentrum am Friedensplatz
    • Tanzparty, wo sich auch die Reservisten aufhalten. Milada verlässt den Tanzsaal.
  • Sazava Fabrik in Okruzni Straße
    • Die Schicht ist vorbei und die Arbeiter gehen nach Hause.
  • Prag

  • Großer Saal im Lucernapalast, Vodickova Straße         
    • Der Saal ist voller Tänzer.

Auszeichnungen

VeranstaltungOrtAuszeichnungKategorieG/N
1965
Venedig Filmfestival Venedig
Italien
Goldener Löwe Bester Film
Milos Forman
1966
39. Oscarverleihung® Los Angeles
USA
Oscar® Bester fremdsprachiger Film
1967
24. Golden Globe Verleihung Los Angeles
USA
Golden Globe Bester fremdsprachiger Film
Bodil Verleihung Kopenhagen
Dänemark
Bodil Bester europäischer Film
Jussi Verleihung Helsinki
Finnland
Jussi Bester ausländischer Regisseur
Milos Forman

Technische Informationen

35 mm
Seitenverhältnis : 1,37:1
Tonverfahren : Mono
Schwarzweiss

Besetzung und Crew

Central Film Distribution, Prague presents
   
Andula Hana Brejchova
Milda Vladimir Pucholt
   
Story and Screenplay by Jaroslav Papousek, Milos Forman, Ivan Passer
Screenplay Editor Vaclav Sasek
   

Starring

 
Reservist Vacovsky Vladimir Mensik
Reservist Manas Ivan Kheil
Reservist Burda Jiri Hruby
Milda's Mother Milada Jezkova
Milda's Father Josef Sebanek
   

Supporting cast

 
Foreman Pokorny Josef Kolb
Marie Marie Salacova
Jana Jana Novakova
Jaruška Jarka Crkalova
Girl with a guitar Tana Zelinkova
Zdena Zdena Lorencova
Colonel Josef Jan Vostrcil
Tonda Antonin Blazejovsky
   
First Assistant Director Ivan Passer
Assistant Production Manager Jaroslav Solnicka
   
2nd Camera Operator Ladislav Chroust
Make up Rudolf Hammer
Set Decorator Vladimir Macha
Wardrobe Zdena Snajdarova
   
Music by Evzen Illin
Music Recorded by Orchestras Karel Vlach´s Orchestra, ZK Sazavan Zruc nad Sazavou and Karel Vacek´s Jr. Orchestra
   
Art Director Karel Cerny
Sound Adolf Böhm
Film Editor Miroslav Hajek
Production Manager Rudolf Hajek
Director of Photography Miroslav Ondricek
Directed by Milos Forman
   
Production Unit Jiri Sebor, Vladimir Bor
   
Processed at the Barrandov Film Laboratories, Prague
   
© 1965 Barrandov Film Studios

Poster

5

Video

6

Pressefotos

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