Der schwarze Peter

Komödie

Premiere:
17. April 1964, Prag, Tschechoslowakei

Laufzeit:
86 Minuten.

Sprache:
Tschechisch

© 1963 Film Studio Barrandov

„Formans erster Spielfilm zeichnet sich durch seine Leichtigkeit aus. Bildgestaltung und Ausdrucksfähigkeit sind hier in einigen Schlüsselszenen erkennbar, zum Beispiel bei einem Samstagstanz, wo verschiedene Handlungsepisoden mit dokumentarischem Blick zusammenlaufen. Auf diese Weise wird eine Atmosphäre der „Unterhaltung“ geschaffen und Charaktere werden festgelegt.”

(Ivan Svitak, Film und Periode der Zeit, 1965)

Obwohl der sechszehnjährige Peter lieber am Swimmingpool liegen würde, um Mädchen zu beobachten, muss er stattdessen Kunden in einem Supermarkt überwachen, damit sie nichts stehlen. Er hat Probleme in der Arbeit, zum Beispiel als er einen verdächtigen Kunden im Supermarkt sieht, sich aber nicht traut, ihn anzusprechen. Zu Hause erhält er ständig Belehrungen von seinem pedantischen Vater, seine Freundin macht einem anderen aus dem Ort schöne Augen.

Mit Hilfe von Laiendarstellern und mit Jan Nemeceks poetischer Kameraarbeit fängt Milos Forman die Authentizität gewöhnlicher Sommertage in einer kleinen tschechischen Stadt zu Beginn der sechziger Jahre ein. Doch er drückt auch die Gefühle erwachender Rebellion in der Jugend des Ostblocks aus, nur wenige Jahre vor dem Prager Frühling.

Über den Film

Eine Serie von scheinbar unwichtigen Ereignissen im Leben des 16-jährigen Auszubildenden Peter. Gerade hat er seinen Sommerjob als Ladenassistent begonnen, doch schon bald lernt er, dass seine Hauptaufgabe darin besteht aufzupassen, dass die Kunden nichts aus dem Laden stehlen. Wahrscheinlich würde er lieber am Pool liegen, mit seinen Freunden sprechen und mit Mädchen flirten. Stattdessen steckt er im Supermarkt fest, wo er seinen herrscherischen Boss ertragen muss, und anschließend wird zu Hause von seinem Vater kritisiert. Sein Vater wird von dem hervorragenden Schauspieler  Josef Vostrcil gespielt.

Neben einer Riege von Laiendarstellern brilliert der Schauspieler Vladimir Pucholt in der Rolle des ständig angebenden Maurerlehrlings Cenda, dessen lautes „Hallooooo” in der Tschecheslowakei schnell  populär wurde und auch heute noch populär ist.

Obwohl der Film auf einem Roman von Formans engem Mitarbeiter Jaroslav Papousek basiert, passt sich der Regisseur dem Temperament der Laiendarsteller und professionellen Schauspieler so mitfühlend an, dass die Dialoge immer authentisch wirken, quasi wie Aufnahmen echter Konversationen.  Die Fülle an leeren Phrasen, mit denen der Vater den apathischen Peter am Ende des Films bombardiert, sind eine brilliante Illustration des wechselseitigen Missverständnisses zwischen den Generationen.

Dieses Meisterwerk der beginnenden neuen Welle des tschechoslowakischen Kinos brachte etwas auf die Leinwand, woran der tschechoslowakische Kinogänger nicht gewöhnt war – eine authentische Botschaft über die Suche der jungen Leute und über die Lücken zwischen den Generationen;  eine Botschaft, die in ihrem Subtext auf die Dekadenz der gesellschaftlichen Beziehungen jener Zeit hinweist.

Wissenswertes

  • Der Film gewann den ersten Preis beim Filmfestival von Locarno, wo er sogar die berühmtesten Regiegrößen seiner Zeit schlug, zum Beispiel den Initiator der Novelle Vague Jean-Luc Godard und seinen Film Die Verachtung oder den Italiener   Michelangelo Antonioni mit seinem Film Die rote Wüste.
  • Der schwarze Peter hatte ein sehr niedriges Budget, was angeblich der Grund ist, warum Forman Laiendarsteller in den Hauptrollen engagierte. Und trotzdem definiert sich die Poesie seiner frühen und späteren Produktionen gerade dadurch, denn auch bei späteren Filmen vertraute er auf mehr oder weniger unbekannte Schauspieler. Die einzige Ausnahme war Vladimir Pucholt, der damals im vierten Jahr an der Prager Akademie der musischen Künste (DAMU) studierte.

Milos Forman über den Film

  • „Ich hatte lange auf eine Gelegenheit gewartet, um mit Vladimir Pucholt zusammenzuarbeiten. Ich fand ihn,  als wir das Casting für den Film Großvaters Auto machten.  Er war sehr jung und hatte ein unvergessliches Vorsprechen hingelegt, und ich habe ihn nie vergessen. Er war allerdings zu alt für den Protagonisten in Der schwarze Peter, also besetzte ich ihn als seinen Maurerkumpel. Ich habe drei Filme mit Pucholt gemacht, einem der talentiertesten Schauspieler, mit dem ich je gearbeitet habe.”
  • „Ich konnte lange keinen Vater für unseren Gemüseladenlehrling finden. Ivan Passer arbeitete an einem Projekt mit Papousek und mir, und eines Abends schaute er sich den Bandleader der Gruppe aus Wenn´s keine Musikanten gäbe an. Irgendwie hatte er die Probesäle verwechselt und sah sich die falsche Band an. Er kam sehr aufgeregt zurück. „Du musst diesen Kerl sehen, Milos. Er ist ein echter Vulkan der Menschlichkeit.”  Ivan hatte Recht. Ich besetzte den sechzigjährigen Bandleader für meinen Dokumentarfilm Wenn´s keine Musikanten gäbe schon am nächsten Abend. Ich fragte Vostricil,  ob er nicht für den Vater in Der schwarze Peter vorsprechen wolle, aber er hat einfach abgelehnt.  Es gab keine Blaskapellen in dem Film, und er hatte kein Interesse,  als Angeber dazustehen. Er hatte in seinem Leben schon genug zu tun. Ich redete weiter auf ihn ein. Am Ende machte ich mit ihm einen Deal. Er würde für die Rolle des Vaters vorsprechen, und wenn ich ihn in der Rolle besetzen würde, würde ich einen Weg finden, eine Blaskapelle in das Drehbuch einzubauen. ”
  • „Vostrcils Frau in Der schwarze Peter wurde von Frau  Matuskova (Bozena Matuskova, Anmerkung des Redakteurs) gespielt, die wir während der Drehortsuche fanden. Wir waren gekommen,  um zu sehen, ob ihr Haus ein gutes Zuhause für unseren Gemüsewarenlehrling sein könnte. Sie brauchte dringend Geld, also überließ sie nichts dem Zufall und hatte Buchty, kleine Teigtaschen mit Cremefüllung, gebacken. Das Haus war für unsere Zwecke perfekt und die Buchty waren köstlich. Und als ich diese aufmerksame,  robuste grauhaarige Mama ansah, wie sie ihren gerissenen Zauber auf uns ausübte, hatte ich einen Geistesblitz. „Frau Matuskova, wie wäre es, wenn Sie die Mutter in unserem Film spielen würden?”

    Der Einfall brachte sie zum Lachen“ „Ich? Für was halten Sie mich, einen Filmstar?”
    „Warum nicht?”
    „Ach, nun kommen Sie.”
    „Sie würden uns sehr passen. Und wir würden Sie gut bezahlen.”
    „Und was müsste ich tun?
    „Sie würden einfach hier bleiben und Buchty backen.”
    „Ok, das schaffe ich.”
    Während wir den ganzen Morgen alles aufbauten,  drängte sie jedem ihre Buchty auf. Sie waren köstlich, aber auch fettig und füllend. Jedes Mal wenn jemand ihre Buchty ablehnte, dachte sie, sie hätte als Schauspielerin versagt. Ich glaube nicht dass sie merkte, wann ihre Schauspielkarriere begann. 
    „Frau Matuskova”,  fragte ich sie, „könnten Sie hier stehen und zugucken, wie sie streiten?” Und ich würde sie in der Einstellung platzieren.
    „Das war wunderbar! Und jetzt möchte ich, dass Sie ihnen sagen, was Sie darüber denken, was der Junge gesagt hat. Sie mögen das nicht, nicht wahr? Der ist ziemlich frech, nicht wahr? Ok, Action!”
    Frau Matuskova atmete tief ein und sagte den beiden Schauspielern ihre Meinung. Sie war absolute natürlich, frisch und spontan. Ihre Darstellung in dem Film war so perfekt wie ihre Buchty.”

  • „Ich arbeitete mit allen meinen Laiendarstellern auf eine ähnliche Weise, ich zeigte ihnen nie das Drehbuch. Ich hatte jedes Wort des Drehbuchs im Kopf,  und ich würde damit anfangen, ihnen  die Szene vorzuspielen, ihnen erklären,  wonach ich suchte. Ich versicherte mich, dass sie verstanden,  wovon die Szene handeln sollte und dass sie die Haltung der Charaktere verstanden. Dann begannen wir sofort,  die Szene zu drehen. Meine  Laiendarsteller merkten sich immer ein paar Dialogzeilen, die ich benutzt hatte und dachten sich den Rest aus. Wenn alles gut ging, waren die Darsteller einfach sie selber und die Worte aus ihren Mündern waren immer exakt die richtigen.”
  • „Die schwierigste Szene in Der schwarze Peter kam gegen Ende des Drehs, und es war ein Produktionsalbtraum. Wir brauchten eine lange Szene während des Tanzes, aber ich hatte kein Geld,  um Komparsen zu engagieren. Es war Sommer und so entschieden wir uns,  eine Schlittschuhhalle und eine Band in Kolin zu mieten, eine Party für Samstagabend zu schmeißen, ‚Eintritt frei‘ auf die Türen zu schreiben und die Szene mit den Leuten zu drehen, die kamen. Innerhalb von vier Stunden – von acht bis Mitternacht – mussten wir sieben Minuten Filmlaufzeit drehen. Es gab keine zweite Chance.”

Drehorte

Tschechoslowakei (heutige Tschechische Republik)

  • Kolin

  • Karlsplatz
    • Peter trifft seinen Freund Tonda und sie sprechen über sein gestriges Date.
  • Kmochs Insel
    • Peters Vater dirigiert das Kmoch-Blaskapellenkonzert.
  • Prager Straße, Zlata Straße und Prikra Straße
    • Peter verfolgt einen vermeintlichen Dieb aus einem Supermarkt.
  • Ehemaliges  Hotel Savoy-Gebäude in der Rubesova Straße
    • Peter trifft seinen Freund in einem Café.
  • Schlittschuhbahn in der Brankovicka Straße
    • Tanzparty.
  • Brankovicka Straße
    • Die Einstellung einer Fähre und der Umgebung.
  • Fluss Alte Elbe
    • Die Jungen springen von einem hohen Pier und bringen fast ein Boot mit Mädchen zum Kentern.
  • Umkleide im Schwimmbad bei der Starokolinska Straße
    • Nachdem er sich seine Badehose angezogen hat, läuft Peter aus der Umkleide zum Swimmingpool.
  • Zahradni Straße
    • Das Haus von Peters Freundin Pavla.
  • Podskalske Ufer
    • Peter hat ein Date mit Pavla.

Auszeichnungen

VeranstaltungOrtAuszeichnungKategorieG/N
1964
Locarno Internationales Filmfestival Locarno
Schweiz
Goldenes Segel Bester Film
1967
Jussi Verleihung Helsinki
Finnland
Jussi Bester ausländischer Regisseur
Milos Forman

Technische Informationen

35 mm
Seitenverhältnis : 1,37 :1
Tonverfahren : Mono
Schwarzweiss

Besetzung und Crew

Barrandov Film Studios presents
Story and Screenplay by Jaroslav Papousek, Milos Forman

Starring

Apprentice Peter Ladislav Jakim
Pavla Vrbova Pavla Martinkova
Peter's father Jan Vostrcil
Mason's apprentice Cenda Vladimir Pucholt
Peter's friend Lada Pavel Sedlacek
Cenda's friend Zdenek Zdenek Kulhanek
Shop manager Frantisek Kosina
Mason master Josef Koza
Petr's mother Bozena Matuskova

Supporting cast

Customer Antonin Pokorny
Storekeeper Jaroslav Kladrubsky
Thief Frantiska Skalova
Franta Mara Jaroslav Bendl
Pavla's friend Majka Gillarova
Girl Jaroslava Razova
Girl Dana Urbankova
Girl Zuzana Oprsalova
Lada's friend Frantisek Prazak
Music by Jiri Slitr
Music Played by Ferdinand Havlik´s Orchestra and Nonet ZK Tatra Kolin
Sung by Pavel Sedlacek, Marketa Petrankova, Eva Ulihrachova
Set Designer Karel Cerny
Assistant Designer Milos Cervinka
Wardrobe Barbora Adolfova
Set Decorator Vladimír Mácha
Make up Frantisek Novotny
Sound Effects Bohumir Brunclik
2nd Camera Operator Karel Hejsek
Camera Assistant Vratislav Damborsky
Assistant Editor Anna Mejtska
Gaffer Antonin Ruzicka
Still Photographer Jaromir Komarek
Assistant Production Manager Antonin Kubovy, Jaroslav Vlk, Jiri Ulrich
Continuity Lilian Havlickova
First Assistant Director Ivan Passer
Sound Adolf Böhm
Film Editor Miloslav Hajek
Production Manager Rudolf Hajek
Director of Photography Jan Nemecek
Directed by Milos Forman
Production Unit Jiri Sebor, Vladimir Bor
Processed at the Barrandov Film Laboratories, Prague
© 1963 Barrandov Film Studios

Poster

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Video

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